Muskelschaden = Muskelaufbau!?

Muskelschäden wurden lange als primärer Auslöser für Muskelwachstum angesehen. Aktuellen Studien zufolge, sollte diese Theorie jedoch neu bewertet werden.

 

Die Trainingswissenschaft liefert zunehmend detailliertere Einblicke in die physiologischen Vorgänge, die zum Muskelwachstum führen. Aktuelle wissenschaftliche Publikationen gehen in diesem Kontext besonders auf die Rolle von kleinsten Verletzungen (Mikrotraumata) ein. Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse, stellt sich die Frage, ob Trainingsmentalitäten wie „No pain, no gain“ oder „One more rep“ tatsächlich den effektivsten Weg zum Muskelaufbau darstellen.
 

Physiologischen Vorgänge beim Muskelaufbau

Hypertrophieeffekte können nur dann erzielt werden, wenn auf muskulärer Ebene die Rate der proteinaufbauenden (Proteinsysnthese), die der abbauenden Prozesse übersteigt. Allgemeine Voraussetzung hierfür ist ein trainingswirksamer Reiz, in Kombination mit ausreichender Proteinzufuhr über die Ernährung (Krzysztofik et al. 2019). Als entscheidende Faktoren, um den Muskelaufbau anzuregen, wurde lange Zeit eine Kombination aus hoher trainingsinduzierter mechanischer Spannung und kleinsten Muskelschädigungen angesehen. Auf zellulärer Ebene kommt es in Folge dieser Reize unter anderem zur Einwanderung von Satellitenzellen in die Muskelfaser. Dies führt wiederum zu einer erhöhten Proteinsynthese und damit letztendlich zur Vergrößerung des Muskelquerschnitts (Schoenfeld 2010). Obwohl alle diese Faktoren nachweislich eine Rolle beim Hypertrophietraining spielen, muss besonders der Einfluss von Mikrotraumata neu bewertet werden.

Mikrotraumata als Folge von Krafttraining

Grundsätzlich kann jede Form von Krafttraining zu Muskelverletzungen führen. Allerdings treten besonders bei exzentrischer Belastung und ungewohnten Übungen Mikroverletzungen auf. Als akute Folge dieser Mikrotraumata kommt es zur Kraftreduktion im betroffenen Muskel und im Verlauf von 24-48 Stunden zu Schwellungen, Steifheit und eingeschränktem Bewegungsradius. Diese Symptome werden umgangssprachlich als „Muskelkater“ und in der Fachliteratur als Delayed onset muscle soreness (DOMS) bezeichnet. Mikrotraumata können die Kraftfähigkeit erheblich und langfristig reduzieren. So zeigen Daten von Peake et al. (2017), dass in Folge von Mikrotraumata das Kraftniveau der entsprechenden Muskulatur selbst nach fünf Tagen Regenerationszeit ca. 40 % unter dem Ausgangsniveau lag. In welchem Ausmaß ein Trainingsreiz Muskelverletzungen verursacht, hängt jedoch nicht nur von äußeren Faktoren ab, sondern wird auch von individuellen Faktoren des Trainierenden beeinflusst. Besonders ältere Personen sind häufig von trainingsbedingten Mikroverletzungen betroffen. Neben dem Alter scheinen auch bestimmte genetische Prädispositionen die Anfälligkeit für Muskelschäden zu beeinflussen (Baumert et al. 2016).

Sind Muskelverletzungen Voraussetzungen für Muskelwachstum?

Eine Vielzahl von aktuellen wissenschaftlichen Veröffentlichungen beschäftigte sich mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen Mikrotraumata beim Krafttraining auftreten und inwiefern diese eine Voraussetzung für Hypertrophieeffekte darstellen. Damas et al. (2016) stellten beispielsweise in Folge von Mikrotraumata eine erhöhte Proteinsyntheserate fest, allerdings keinen Muskelzuwachs. Vielmehr scheint es so, als ob das neugebildete Protein zur Reparatur von geschädigtem Gewebe und nicht zur Neubildung von kontraktilen Einheiten verwendet wird.

In einer weiteren Veröffentlichung kamen die Autoren zum Ergebnis, dass Mikroverletzungen mit zunehmender Trainingserfahrung immer seltener auftreten. Trotz fehlender Muskelschäden steigt jedoch gerade beim fortgeschrittenen Trainierenden der Anteil neugebildeter Muskelfasern (Damas et al. 2018). Die Autoren ziehen daher das Fazit, dass Muskelschädigungen langfristig keine Voraussetzung für Muskelwachstum darstellen. Vielmehr sind sie eine Reaktion auf einen ungewohnten Reiz, welcher primär Muskelreparatur und nicht Muskelwachstum auslöst. Obwohl gerade bei Reparaturprozessen die Proteinsynthese erhöht ist, sind diese Prozesse nicht verantwortlich für Muskelwachstum und gesteigerte Belastbarkeit. Wird in frühen Trainingsphasen dennoch eine objektive Vergrößerung des Muskelquerschnitts erzielt, so sind dafür vordergründig Schwellungen und Wasseransammlungen in der Muskelzelle verantwortlich. Auch Flann et al. (2011) konnten zeigen, dass exzentrisches Training bei Anfängern mehr Muskelschäden als bei Fortgeschrittenen verursacht, jedoch das Muskelwachstum in beiden Gruppen gleich stark ausgeprägt war. Beim Training mit dem Ziel möglichst große Muskelschädigungen hervorzurufen, werden die Sätze häufig bis zum Punkt des Muskelversagens oder mittels Intensitätstechniken sogar darüber hinaus geführt. Eine Übersichtsarbeit von Grgic et al. (2021) verglich die unterschiedlichen Effekte von Training bis zum Muskelversagen und Training ohne Muskelversagen. Hierbei konnten keine Vorteile von Training bis zum Muskelversagen in Bezug auf Kraftsteigerung und Hypertrophie festgestellt werden.

Bedeutung für die Trainingspraxis

Die hier vorgestellten Ergebnisse zeigen eindeutig, dass Muskelschädigung keine Voraussetzung für Muskelwachstum darstellt. Werden durch Krafttraining Mikrotraumata hervorgerufen, kommt es zwar zu Reparationsprozessen, diese führen jedoch nicht zu einem Zugewinn von Kraft oder Muskelmasse. Langfristiger Muskelaufbau ist vielmehr auf Anpassungen zurückzuführen, welche vor allem durch mechanische Beanspruchung der Muskulatur hervorgerufen werden. Auf die Trainingspraxis angewandt, zeigen diese Ergebnisse, dass das Schädigen von Muskelgewebe aus wissenschaftlicher Perspektive keine Vergrößerung des Trainingseffekts bewirkt. Obwohl es gerade beim Trainingseinsteiger in Folge eines trainingswirksamen Reizes häufig zu Schädigungen kommt, zeigt die aktuelle Studienlage, dass Muskelverletzungen keine Voraussetzung für Muskelwachstum beim Trainingserfahrenen darstellen. Trainierende, die gemäß dem Prinzip der progressiven Belastung ihre Trainingsintensität im Zeitverlauf steigern, sollten immer weniger Muskelschädigungen entwickeln.

Fazit

Muskelkater oder das Training bis zum Muskelversagen dürfen auf keinen Fall als Maßstab für erfolgreiches Training missverstanden werden. Vielmehr sollten Symptome von Muskelschädigung als ein Anzeichen einer Überbelastung interpretiert werden und eine Entladungsphase nach sich ziehen. Erfahrungsgemäß wird dies bei vielen ambitionierten Kraftsportlern zunächst auf Unverständnis stoßen, da in vielen Köpfen gerade Muskelkater und Muskelversagen als Zeichen von „effektivem Training“ gesehen werden. Der Trainer ist in diesen Fällen gefragt auf die Nachteile von regelmäßigen Muskelverletzungen hinzuweisen. Zugleich sollte auch die langfristig leistungssteigernde Wirkung optimaler Trainingsreize und Regeneration veranschaulicht werden.

Athleten bei der Optimierung der Muskelmasse unterstützen

Der BSA-Lehrgang Leistungssport Body-Trainer/in qualifiziert die Teilnehmenden zur Betreuung leistungsorientierter Athletinnen und Athleten, deren Ziele in einer Optimierung der Muskelmasse sowie in einer Minimierung des Körperfettanteils liegen. In diesem Kontext sind sie in der Lage, langfristig periodisierte Trainingspläne zum leistungsorientierten Muskelaufbautraining unter Berücksichtigung verschiedener Trainingsmethoden zu erstellen sowie eine differenzierte Übungsauswahl unter funktionell-anatomischen Aspekten zu treffen. Sie sprechen gezielte Ernährungsempfehlungen sowie Empfehlungen zu sinnvollen Nahrungsergänzungen aus.

 

 

Literatur:

  1. Baumert, P., Lake, M. J., Stewart, C. E., Drust, B. & Erskine, R. M. (2016). Genetic variation and exercise-induced muscle damage: implications for athletic performance, injury and ageing. European Journal of Applied Physiology, 116(9), 1595–1625.
  2. Damas, F., Libardi, C. A. & Ugrinowitsch, C. (2018). The development of skeletal muscle hypertrophy through resistance training: the role of muscle damage and muscle protein synthesis. European Journal of Applied Physiology, 118(3), 485–500.
  3. Damas, F., Phillips, S. M., Libardi, C. A., Vechin, F. C., Lixandrão, M. E., Jannig, P. R. et al. (2016). Resistance training-induced changes in integrated myofibrillar protein synthesis are related to hypertrophy only after attenuation of muscle damage. The Journal of Physiology, 594(18), 5209–5222.
  4. Flann, K. L., LaStayo, P. C., McClain, D. A., Hazel, M. & Lindstedt, S. L. (2011). Muscle damage and muscle remodeling: no pain, no gain? The Journal of Experimental Biology, 214(Pt 4), 674–679.
  5. Grgic, J., Schoenfeld, B. J., Orazem, J. & Sabol, F. (2021). Effects of resistance training performed to repetition failure or non-failure on muscular strength and hypertrophy: A systematic review and meta-analysis. Journal of Sport and Health Science.
  6. Krzysztofik, M., Wilk, M., Wojdała, G. & Gołaś, A. (2019). Maximizing Muscle Hypertrophy: A Systematic Review of Advanced Resistance Training Techniques and Methods. International Journal of Environmental Research and Public Health, 16(24).
  7. Peake, J. M., Neubauer, O., Della Gatta, P. A. & Nosaka, K. (2017). Muscle damage and inflammation during recovery from exercise. Journal of Applied Physiology (Bethesda, Md. : 1985), 122(3), 559–570.
  8. Schoenfeld, B. J. (2010). The mechanisms of muscle hypertrophy and their application to resistance training. Journal of Strength and Conditioning Research, 24(10), 2857–2872.